Walk this way – Zu Fuß gehen in Zeiten der Pandemie

Gerald Franz | 09.03.2021

Spzieren gehen

In meinem letzten Beitrag habe ich vom Radfahren im Winter geschrieben und dem Fakt, dass ich aktuell leider weniger oft dazu komme. Meine Alltagswege haben sich aufgrund der Lockdown-Zeiten einfach stark reduziert. Und einfach nur die Seele baumeln lassen beim Radfahren, das schaffe ich nicht, v.a. im Winter. Das Fahrrad ist mein perfektes Verkehrsmittel um schnell, effizient, umweltfreundlich von A nach B zu kommen.

Dafür ist bei mir eine andere Fortbewegungsform wieder stark in den Vordergrund getreten, die ich lange Zeit ein wenig vernachlässigt habe – das Zu Fuß gehen und Spazieren. Radeln, Laufen, Wandern, alles war mir wichtiger und erschien spannender und freudvoller. Ich muss sagen, ich wurde eines Besseren belehrt: zu Fuß gehen ist genau das Gegenteil von langweilig!

Neues entdecken

Angefangen hat es damit, dass mir mein Internist geraten hat, eine Zeitlang weniger intensiven Ausdauersport zu machen und Aktivitäten mit niedrigem Puls nachzugehen. Widerwillig habe ich mir die Trekkingschuhe, Daunenjacke, Haube angezogen und bin von zu Hause losmarschiert. Zuerst mal war ich überrascht, wie einfach das geht – man braucht keine Ausrüstung – yeah! Die nächste Überraschung war, dass ich mein relativ neues Wohnumfeld viel besser kennen gelernt habe. Es bewahrheitet sich, was man eh zu wissen glaubt: mit der Verlangsamung der Schritte erhöht sich die Aufmerksamkeit für die Umgebung, man nimmt mit allen Sinnen mehr wahr. So durfte ich einen Graureiher am Liesingbach erspähen, wunderte mich über den süßlichen Geruch der Egger Sportgummifabrik, freute mich über so manches Gründerzeithaus am Stadtrand das renoviert wird, staunte über hell erleuchtete Villen am Rande der Weingärten. Aber nicht genug, dass ich mich gefreut habe, Liesing, Mauer und das nahe Perchtoldsdorf besser kennenzulernen – ich wurde auch von so manch schöner Stimmung überwältigt. Zum Beispiel dem Gefühl von Weite auf der Heide, dem Glanz der Lichter der Stadt, einem Sternenhimmel in einer kalten Winternacht, den Geräuschen und Knirschen beim Wandern durch den Schnee.

Aber nicht alles war positiv, was mir beim Spazieren passiert ist. So bin ich auf ziemlich viel Müll gestoßen und hab mich dabei geärgert. Dosen, Rechnungen, Masken, Plastiksackerl, Fastfood-Verpackungen. Es gibt nichts, was Menschen nicht achtlos wegwerfen. So habe ich angefangen, zum Gehen Gartenhandschuhe und Müllsäcke mitzunehmen. Wenn ich die Muße habe, sammle ich den Müll und treffe ab und zu Leute, die das auch tun, meistens HundebesitzerInnen, die wohl nicht wollen, dass ihre Vierbeiner Müll fressen.

Zeit für sich selbst

Es heißt zwar, man soll sich beim Gehen nicht allzu sehr ablenken lassen, insbesonders durch externe Einflüsse, da man so auf die besten Ideen kommt. Das stimmt! Aber ich muss gestehen, ich habe auch die Vorzüge entdeckt, beim Gehen meine Lieblingspodcasts und Radiosendungen ungestört hören zu können, wieder mal aktiv Musik zu genießen (ich empfehle euch zum Beispiel eine Spotify oder itunes Songliste mit Liedern zum Thema zu Fuß Gehen zu erstellen) oder Freunde und Familie anzurufen. Ich bin ja, wie wahrscheinliche viele von uns, durch Whatsapp, Signal, etc. „telefonierfaul“ geworden. Das hat sich mit dem Lockdown und Zeit zum Spazieren gewandelt. Ich kann nur empfehlen – beim Flanieren lässt es sich außergewöhnlich gut telefonieren! Auch wenn man sich länger nicht gehört hat, die vertraute Stimme lässt einen schnell da anknüpfen wo man aufgehört zu kommunizieren.

Neue Ecken entdecken

Dann noch so eine Entdeckung: wenn man vom Spazieren retour kommt ist man nicht nur entspannter und ausgeglichener. Man bringt einen gesunden Appetit mit und freut sich umso mehr, auf eine selbst zubereitete warme Mahlzeit!

Ich habe das Spazieren mittlerweile auch auf gezielte Stadtspaziergänge ausgedehnt. Dabei nehme ich meine Laufuhr mit, zeichne die Strecke auf und wandere durch verschiedene Bezirke in Wien. Das macht Spaß, weil ich tatsächlich nach vielen Jahren in der Stadt immer noch Neues entdecke, weil man erstaunt ist, welche Distanzen man in relativ kurzer Zeit zurücklegen kann. Zudem legt man das Lockdown-Gefühl, die Schwere mit der man sich eingesperrt fühlt, für eine Zeitlang ab. Ich bin sicherlich nicht der Erste, der das entdeckt hat, v.a. wenn ich schaue wie viele Menschen in Parks wie Schönbrunn oder dem Augarten unterwegs sind. Auch der ORF titelt in einem aktuellen Artikel von der Renaissance des Spazierengehens. Ich war erstaunt, dass es tatsächlich Spazierwissenschaften, die sog. Promenadologie gibt. Ein spannender Beitrag über die vielen Facetten des zu Fuß Gehens (ich gebe den Link dazu ans Ende dieses Beitrags).

Fußgängerfreundliche Städte

Bei all der Begeisterung fürs Gehen, dürfen wir nicht vergessen, unsere Städte und Orte wieder fußgängerfreundlicher und damit menschenfreundlicher zu gestalten. Der öffentliche Raum ist nicht nur ein Platz für Autos, sondern Aufenthaltsfläche für BewohnerInnen, ein verlängertes Wohnzimmer quasi, wo man aktiv sein kann, Menschen trifft, Platz, der zum Gehen anregen sollte. Leider besitzen die Menschen immer mehr Autos, diese werden immer größer und ragen teilweise weit in den Gehsteig hinein. Das nimmt Kindern, älteren Menschen, Eltern mit Kinderwägen etc. die Freunde am Gehen, die Lust am Flanieren. Welche Änderungen es dabei bräuchte, darüber habe ich letzte Woche mit dem Verein Walk-Space in meiner Radiosendung „radio natural“ gesprochen. Am Ende dieses Blogbeitrags auch der Link dazu.

Für alle die jetzt noch immer keine Lust zum Gehen und Spazieren bekommen haben. Ich würde sagen, probiert es aus, allein oder mit Familie oder Freunden. Am besten an einem Ort, der euch vertraut ist, den ihr kennt. Denn alles GEHT – wenn man nur will!

Links

ORF Artikel: https://orf.at/stories/3198474/
Radiosendung: https://cba.fro.at/488251

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