Die Killer der Moral
Natalie Oberhollenzer | 30.06.2020

Stress, Zeit, Faulheit, Dummheit: Viele Faktoren stehen einer nachhaltigen Lebensart im Weg. Wie halten wir sie in Schach?
Der Tag war hektisch, der Magen knurrt und es ist schon spät. Soll ich jetzt noch die Gemüsesuppe machen oder doch beim Inder ums Eck bestellen? Sie ahnen es… wie so oft siegt die Bequemlichkeit. Ein paar Mal am Handy herumgewischt und wenig später steht ein netter Herr mit duftenden Samosas vor der Türe. Als ich das Essen auspacke, ärgere ich mich über den vielen Plastikmüll, den ich mit der Aktion verursache. Das Sackerl voller Abfall steht wie ein Mahnmal auf dem Esstisch. „Sieh mich an, du Umweltsau“, zetert es mich an und ich zetere es weiter zu meinem Mann, der mir entgegnet, dass es heute eh schon wurscht ist.
Bequemlichkeit schlägt Nachhaltigkeit
Warum wir uns nicht allzu selten so verhalten erklärt eine aktuelle Studie der Uni Linz. Die Untersuchung Qualität 2030 von Melanie Wiener vom Institut für Integrierte Qualitätsforschung der Johannes Kepler Universität attestiert, dass uns KonsumentInnen zwei Dinge immer wichtiger werden: Nachhaltigkeit auf der einen und Bequemlichkeit auf der anderen Seite. Dass sich die beiden Aspekte leider oft widersprechen zeigt obiges Beispiel – genauso wie der Umstand, dass uns die Bequemlichkeit am Ende meist wichtiger ist als ökologische Werteansprüche. „Stress und Zeit sind Killer der Moral“ fasst die Studienautorin das Dilemma zusammen.
Bequemlichkeit schlägt Datenschutz
Ein ähnliches Problem haben wir beim Thema Datenschutz. Privacy Paradox nennen ExpertInnen das Phänomen, wonach den meisten von uns der Datenschutz zwar wichtig ist, wenn wir danach gefragt werden. Weniger kümmert er uns dann, wenn es drauf ankommt. Denn wer will schon auf so praktische Dinge wie Google Maps oder WhatsApp verzichten? Klar, es sind Datenfresser… aber das wird so schlimm schon nicht sein, darum kümmern wir uns später. Und eigentlich kann man sowieso nichts dagegen machen. So oder so ähnlich können wir uns die Sache schönreden. In Wahrheit gewichten wir die Vorteile der Apps einfach höher als die Nachteile, ergo die Preisgabe unserer Daten. Genauso wie beim Fertigessen die Freude über den schnellen und unkomplizierten Genuss überwiegt.
Bedürfnis vs. Anspruch
Usability beats privacy, Nutzerfreundlichkeit schlägt Datenschutz, heißt es unter den Programmierern. Convenience beats sustainability, Bequemlichkeit schlägt Nachhaltigkeit, so könnte man die Ergebnisse dieser Studie zusammenfassen. Beiden Phänomenen gemein ist, dass die schnelle Befriedigung eines unmittelbaren Bedürfnisses einem Anspruch gegenübersteht, der auf den ersten Blick abstrakt anmuten mag.
Ein bisschen wehtun muss es
Keine Frage, unterm Strich sind wir alle widersprüchliche Wesen. Wir wollen vieles, und bringen es nicht unter einen Hut. Wir wollen uns bei einem billigen Wochenendtrip in Barcelona vergnügen, während wir gleichzeitig den Massenflugverkehr schlimm finden. Manchmal fühlen wir uns wie Heuchler deswegen und das ist immerhin schon mal etwas. Besser als komplett auf das Thema zu pfeifen.
Mühseliger sind allerdings die darauffolgenden Schritte, in denen wir uns die eine und andere Annehmlichkeit verkneifen. Die Zeichen der Zeit stehen jedenfalls gut. Denn wie das mit dem Einschränken geht, das haben wir in den vergangenen Monaten alle erfahren.
Zum Weiterlesen
Qualität 2030: Studie von Melanie Wiener vom Institut für Integrierte Qualitätsforschung der Johannes Kepler Universität
EinsteigerInnen-Tipps für einen nachhaltigen Lebensstil
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