Interview mit Michael K. Reiter-Coban, die Fairmittlerei
Daniela Capano | 14.04.2020

2016 als Verein gegründet, vermittelt die Fairmittlerei seitdem gebrauchsfähige Sachgüter aus dem Non-Food Bereich, die von Industrie und Handel ausrangiert werden, an gemeinnützige Organisationen. Der Grundgedanke dabei ist, der Vernichtung von unversehrten, aber nicht mehr verkaufsfähigen Warenbeständen entgegen zu wirken und sie stattdessen an jene weiterzuvermitteln, die sie wirklich benötigen. Eine sehr nachhaltige Idee.

Herr Reiter-Coban, Sie haben zu Beginn der Vereinsgründung eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie groß der Bedarf in Österreich an diesen –gebrauchsfähigen, aber nicht verkaufsfähigen- Sachgütern ist. Mit dem Ergebnis, dass in Österreich jährlich bis zu 2.250 Tonnen Drogerieartikel vernichtet werden. Waren Sie davon überrascht?
Die Zahlen der Studie haben uns nur bedingt überrascht, weil wir bereits Zahlen aus Deutschland gekannt haben und daher wussten, dass es grundsätzlich ein sehr großes Potential gibt. Wobei die große Menge von 2.250 Tonnen Drogerieartikel pro Jahr nur am österreichischen Markt hat uns schon überrascht– das ist einfach verdammt viel. Das war dann schon – wenn man es nochmal schwarz auf weiß vor Augen hat – eine sehr beeindruckende und erschütternde Zahl, wo wir entgegenwirken möchten.
Ich war 5 Jahre bei der Firma Henkel im Bereich Marketing & Sales tätig und da haben wir regelmäßig bei unseren Meetings besprochen, was wir mit den Produkten mit hohem Lagerstand machen. Wir haben natürlich immer versucht alles zu verkaufen, weil die Firma natürlich Umsatz machen will, aber immer dort wo es dann geheißen hat jetzt ist der Aufwand größer als das was herauskommt war dann Ende.
Und dann habe ich von innatura.org in Deutschland gelesen. Die arbeiten schon länger nach diesem Konzept und ich habe mir gedacht genau das braucht es. Die einen haben zu viel, die anderen haben zu wenig – bringen wir die zwei doch einfach zusammen. Und so entstand die Fairmittlerei.
Welche Produkte haben Sie in Ihrem Angebot? Wieso können die Produkte nicht mehr regulär in den Regalen der Geschäfte verkauft werden?
Wir haben von Waschmittel über Flüssigseife, Duschgel bis hin zu Matratzen, Geschirr und Einrichtungsgegenständen quasi alles. Wir hatten auch schon Klopapier und Kondome. Also wirklich alles außer Lebensmittel – dafür gibt es viele tolle Organisationen, die Lebensmittel retten.
Die Gründe warum sie nicht verkauft werden sind sehr vielseitig. Es kann sein, dass das Etikett überarbeitet wird und ein neues Layout bekommt bzw. das alte Layout nicht mehr in den Markt kommen soll. Oder es wird das Logo geändert oder es gibt einen neuen Markennamen.
Es kann aber auch sein, dass die Überverpackung defekt ist und deswegen der Handel das Produkt nicht mehr annimmt. Wenn auf einer Palette unten ein Karton nicht intakt ist, nimmt der Handel diese Palette nicht an, weil sie ja nicht wissen, wie viele nicht intakt sind und sie zahlen nicht für Produkte, die sie nicht verkaufen können. Die Herstellerfirma kann dann die Palette wieder einladen, zurückfahren, ausfolieren, auseinandersortieren und mit intakten Produkten mit einer anderen Chargennummer wieder neu einsortieren und das wieder einfolieren und wieder zum Handel fahren. Das sind in einem lohnhohen Land wie Österreich einfach sehr viele Arbeitsschritte – zu viele.
Oder es gibt ein neues Sortiment und das alte Sortiment wird aufgelassen. Zuerst wird versucht es ab zu verkaufen, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt kann das Alte nicht mehr verkauft werden. Das sind dann Restbestände. Oder saisonale Ware – es gibt z.B. Klopapier mit Winterduft.
Die Fairmittlerei sieht sich als Drehscheibe zwischen Industrie/Handel und den NGOs. Wieso braucht es eine solche Drehscheibe? Könnten die Produkte nicht auch direkt an gemeinnützige Organisationen gespendet werden? Welche Hürden gibt es da beim Handel und der Industrie und was haben Handel und Industrie von einer Zusammenarbeit?
Grundsätzlich kann und soll direkt gespendet werden. Es wird teilweise auch schon gemacht und das ist gut so. Es ist sehr schön, dass die Firmen bereit sind die Waren zu spenden und nicht zu vernichten, aber es gibt noch viel mehr Potential dahinter.

In Deutschland wurden z.B. 101 Paletten Flüssigseife angeboten, weil das Etikett nicht gepasst hat und sie deswegen unverkäuflich waren. Wenn eine große Firma in Österreich beispielsweise einen Jahresbedarf an Waschmittel an eine Organisation spendet, müsste diese sich dann einen Lagerraum mieten, damit sie die große Menge Waschmittel zwischenlagern kann – das macht keinen Sinn.
Genau da sind wir behilflich. Für uns ist die Menge egal – wir nehmen es in unser Lager und die NGOs können bedarfsgerecht bei uns bestellen. Wenn die Firmen uns kontaktieren und mitteilen, dass sie ein Produkt in einer bestimmten Qualität und Quantität haben, holen wir es ab oder sie liefern es uns. Sie sind es los und zwar für einen sozialen Zweck.
Für Firmen ist es oft schwierig, denn sie müssen die Produkte schnell loswerden. Entweder sie finden jemanden der es –jetzt und sofort- brauchen kann oder es wird entsorgt. Hinzu kommt, dass es für das Entsorgen in den Firmen festgelegte Prozesse gibt, aber für das Spenden der Produkte nicht. Hier sind oft zusätzliche Unterschriften und Freigaben notwendig. Wir wollen das für die Unternehmen vereinfachen. Ihre Vorteile sind die Zeitersparnis, die finanzielle Ersparnis (durch den Wegfall der Lager- und Vernichtungskosten), das Wissen Gutes zu tun und unsere Öffentlichkeitsarbeit – wenn sie wollen berichten wir darüber, dass sie gespendet haben.

Glauben Sie, dass bei Handel und Industrie ein Umdenken stattfindet? Dass sie die Produkte nicht einfach wegschmeißen wollen, wenn andere sie brauchen könnten?
Auf jeden Fall. Das wird mehr und auch der Nachhaltigkeitsgedanke wird mehr. Also einerseits die soziale Seite anderen Menschen helfen zu können und andererseits auch die ökologische Seite, dass sie die Produkte wegen der Umweltverschmutzung nicht einfach entsorgen wollen. Wenn man sich überlegt wie viel Energie in die Rohstoffgewinnung, die Produktion und den Transport geflossen ist, damit man die Produkte am Schluss wieder mit Energie vernichtet – das ist ja idiotisch.

Die NGOs sind über die preiswerte Einkaufsmöglichkeit sicher froh. Sie vermitteln unter anderem an das SOS-Kinderdorf, das Diakoniewerk, das Wiener Hilfswerk und die Volkshilfe. Wer darf sich bei Ihnen listen lassen? Welche Kriterien müssen erfüllt werden, um bei Ihnen einkaufen zu können?
Alle Organisationen, die non-profit und non-governmental sind und der Gesellschaft einen sozialen oder nachhaltigen Mehrwert liefern, können bei uns bestellen. Ein Fußballverein, zum Beispiel, ist zwar non-profit und non-governmental, hat aber nur einen bedingten sozialen Mehrwert. Wäre es ein Fußballverein mit integrativem Schwerpunkt, dann würde das wieder passen. Somit kann sich im Prinzip jeder Verein oder jede Organisation, die sich für andere Menschen oder die Umwelt einsetzt bei uns registrieren. Wenn wir die Organisation noch nicht kennen, dann prüfen wir ob dieser Mehrwert da ist indem wir uns z.B. die Vereinsstatuten oder den GesellschafterInnenvertrag ansehen.
Denken Sie darüber nach, ihr Angebot zu erweitern? Welche Güter wären für Sie und Ihre AbnehmerInnen interessant?
Das Warenangebot ist unser „bottleneck“. Wir sind auf Spenden angewiesen, d.h. wir können die regelmäßige Verfügbarkeit von Produkten nicht garantieren. Das ist für uns aber das Wichtigste, dass wir regelmäßig Produkte bekommen und zum Beispiel immer ein Waschmittel im Angebot haben – die Marke ist dabei egal.
Bei den abnehmenden Organisationen sind wir schon breit aufgestellt, aber wenn wir die Produktpalette ausweiten könnten, würde das einerseits den Organisationen helfen und andererseits auch uns, weil wir dann mehr Organisationen erreichen können.

Hier können wir Unterstützung brauchen. Wenn von den Leserinnen und Lesern jemanden in seinem Umfeld kennt, wären wir sehr erfreut wenn der Kontakt hergestellt wird. Uns kann man ganz einfach unterstützen indem man über uns redet. Es sind viele Leute bereit im Non-food Bereich etwas zu ändern. Wir müssen nur den Kontakt zueinander finden.
Im Prinzip benötigen die NGOs alles, was man selber auch im Haushalt braucht. Neben Drogerieartikel also beispielsweise auch gerne Büroartikel und Einrichtungsgegenstände. Drogerieartikel brauchen sie regelmäßig relativ viel im Gegensatz zu Einrichtungsgegenständen, die zwar selten gebraucht, die aber im Vergleich recht teuer sind. Hier können die NGOs viel Geld sparen.
Kurz nachgefragt:
Thema des letzten Tischgesprächs?
Die anstehende Geburt unserer Tochter.
Welche 3 Dinge sind Ihnen aktuell besonders wichtig?
Meine Frau, mein Kind und dass die Fairmittlerei sich auch weiterhin gut entwickelt.
Bei welchem Film haben Sie zuletzt laut gelacht?
Kindsköpfe
Berge oder Meer?
Mehr Berge
Welche Sportart verfolgen Sie am liebsten im Fernsehen oder auf der Tribüne?
Baseball – liebend gerne im Fernsehen und auf der Tribüne. Ich bin leider nicht so oft in den USA und in Österreich gibt es zwar Spiele, aber die sind meist nicht so spektakulär.
Wer oder was hat Ihren Lebensweg bedeutend beeinflusst?
Meine Eltern und meine Schwester
Kochen oder bestellen?
kochen
Sie sind in ehrenamtlichen Tätigkeiten sehr engagiert. An welche bewegenden Momente erinnern Sie sich immer wieder?
Beim Samariterbund hat eine Frau im Rettungswagen geweint, weil sie ein schlechtes Erlebnis bei einem Arzt gehabt hat. Wir haben während der Fahrt mit ihr gesprochen und sie ist dann lachend ausgestiegen. Sie hat sich bedankt und gesagt, dass es ihr jetzt wieder viel besser geht.
Oft braucht es nicht mehr als: Zeit nehmen, zuhören und miteinander reden!
Sie sind ein begeisterter Radfahrer: Ihre Erinnerungen ans erste Fahrrad?
Ans erste Fahrrad kann ich mich leider nicht erinnern, aber ich erinnere mich an ein rotes Rad.
Viele wurden in den letzten Wochen dazu gezwungen, Sie arbeiten schon länger von zu Hause: Ihre 3 Tipps für ein erfolgreiches Homeoffice?
Ich arbeite seit ca. 2 Jahren im Homeoffice. Meine Tipps:
1. Einen Stundenplan machen – wann mache ich was.
2. Arbeitskleidung anziehen – die Kleidung zu wechseln bringt auch
Struktur in den Tag.
3. Seinen Arbeitsplatz nett einrichten.
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